Im vergangenen Herbst ist Ilse Aichinger verstorben, die zu den singulären Erscheinungen der deutschen Nachkriegsliteratur zählt. Einer „größeren Hoffnung“ ebenso wie einem anarchistischen Zorn über die Welt verpflichtet, suchte sie nach einer Form des Erzählens, durch die den Wörtern „die Lautlosigkeit zurückzugewinnen sei, aus der sie entstanden sind“. Damit einher ging das Misstrauen gegen die „besseren Wörter“ und gegen den redundanten Einsatz von Rede und Selbstrede. Viel eher schöpfte Aichinger ihr Sprechen aus der Reduktion auf eine Poetik, die ein persönliches Ich zurücknimmt und ihr Maß an der Präzision und Klarheit der Beobachtung nimmt: an einem „Zustand zu schreiben, in dem sich innere und äußere Genauigkeit deckt”. In ihren Gedichten und Prosastücken, Hörspielen und Interviews formulierte Ilse Aichinger immer wieder eine Haltung des Schweigens und der Diskretion, die die Nähe zum eigenen Verschwinden gehütet hat, als wäre es die wiederholte Einübung in den Abschied. In der Zeit des Krieges hielt sie sich mit ihrer jüdischen Mutter jahrelang versteckt, während die Großmutter sowie die Geschwister der Mutter in den Konzentrationslagern starben. Aichingers Schwester konnte mit einem letzten Kindertransport nach England fliehen. Diese Erinnerung und eine wachsame Beobachtung der Zeitgeschichte verpflichteten die Autorin zu einem Erzählen des lautlosen Zuhörens und Zuschauens, das gegen die Zumutungen des Daseins nüchtern revoltiert und die Erfahrung des Endes wandelt in Erkenntnis und Form. „Wenn wir es richtig nehmen, können wir, was gegen uns gerichtet scheint, wenden, wir können gerade vom Ende her und auf das Ende hin zu erzählen beginnen, und die Welt geht uns wieder auf.“
An Ilse Aichinger und ihr Werk wollen wir in einer langen Nacht der Lektüren, Kommentare, Gespräche und Filmbeiträge erinnern. Mit Elke Erb, Hannah Markus, Marion Poschmann, Monika Rinck, Daniela Strigl und Reto Ziegler.
Der Eintritt ist frei! In Zusammenarbeit mit Christine Vescoli / Literatur Lana
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Heu,
Heu in den Kinderscheuern,
wo zu verbrennen
oder sich für immer zu verlieren
gleich leicht ist.
Gebündeltes Heu,
Heu auf den Feldern,
Heu als die bei der tödlichen Vielfalt
der Möglichkeiten gerade so
zueinander gegebenen Buchstaben,
diese Richtung,
aber keine andere.
Heu, das im Wind fliegt,
auf den dürren Stoppeln bleibt,
für immer von den anderen getrennt,
das den Schnee erwartet,
der ihm den Himmel nehmen wird,
sein unbewegtes, mattes Ebenbild.
Die Gewißheit, daß es keinen Trost gibt,
aber den Jubel,
Heu, Schnee und Ende.
Aus: Verschenkter Rat, 1978, Fischer Verlag