OFFENES GEHEIMNISGEBIET
Lesung mit Bodo Hell

Datum: 13/03/2018

sowie ein selten gezeigter und auf der Dachsteinalm gedrehter „Ziegenfilm“

(von Angela Summereder und Othmar Schmiderer. Titel: im augenblick, history and the open, 32 min)

Beginn: 20 h

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Der Wiener Dichter und Prosaautor Bodo Hell ist ein Tausendsassa: Am Mozarteum in Salzburg, seiner Heimatstadt, hat er Orgel studiert und in Wien an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Film und Fernsehen, Philosophie, Germanistik und Geschichte. Danach entschied er sich jedoch schon bald für eine konsequente Schreibexistenz – was ihn freilich nicht daran hindern sollte, Sommer für Sommer als Senne auf dem Dachstein in der Steiermark zu verweilen (und zu arbeiten).

Ernst Jandl, der ebenso wie Friederike Mayröcker, Elfriede Gerstl oder Liesl Ujvary von der ersten Stunde an zu Hells Wiener Weggefährten zählte, schätzte den 1943 geborenen Autor als einen, dessen Hervorbringungen „mein Lesetempo verlangsamen, nicht die Tätigkeit meines Gehirns“. Diese Gegenläufigkeit von äußerer und innerer Geschwindigkeit ist ein Charakteristikum dieses geschichtsversessenen Nicht-Erzählers, der mit seltener Beobachtungsgabe und agilem Verknüpfungsgeschick seit über 40 Jahren an einem unerhörten Flecht-Werk aus Gedichten und assoziativen Prosastücken, Gemeinschaftsarbeiten und Essays, spitzfindigen Kunstkommentaren und detailverliebten Welterkundungen schreibt.

In jüngerer Zeit machte Hell, der sich nicht nur mit seinen Dachsteintexten einer lokalen Topographie verhaftet zeigt, vor allem mit den Bänden Nothelfer (Droschl, 2008) sowie Ritus und Rita (Droschl, 2017) auf sich aufmerksam: Kompendien von Heiligenlegenden, in denen Sprechrituale katholischer Provenienz auf profanere (kunst)historische und kulturelle Codes treffen. Dabei bleibt Hell zwar den Fakten verpflichtet wie nur irgendeiner, doch lässt er sich andererseits auch von Collage- und Montagetechniken leiten und gegebenenfalls belehren; webt überlieferte Lebensgeschichte und ausschweifende Einlassung temperamentvoll ineinander, um dem „Wundersamen eine Sprache“ zu verleihen, „der Verzücken und Skepsis gleichermaßen eingeschrieben sind“ (Anton Thuswaldner).

So halten Bodo Hells verbale Lauschangriffe, akustische Performances und aufmerkende Exzerpte ein kulturelles Gedächtnis wach und lebendig, nicht ohne das Althergebrachte aus Brauchtum und Tradition einer verschmitzten Revision zu unterziehen. Seine schier unerschöpfliche Neugier steht ihm dabei zur Seite: Botanik, Musikwissenschaft und Viehzucht gehören zu den Spezialgebieten dieses hellwachen Sprachkünstlers, dessen experimentierende Sachbücher sich wie immergrüne Spielwiesen ausnehmen, an der Schnittstelle zwischen sprachlichem Zeichen und Wunder der Natur: „denn jede neue Situation verlangt, dass man neue Termini (Fachbegriffe) verwendet: Daphne striata ist gleich Gamsröserl (Blüten rosa, Früchte rötlichgelb), Gamsröserl ist gleich Steinröserl, Steinröserl ist gleich eine andere Art von Seidelbast (Daphne mezéreum, Duft ähnlich Flieder und Nelken)“.

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„der Einstieg aus einer weiteren HimmelsRichtung, sagen wir von Westen her, ins offene Geheimnisgebiet Dachstein könnte sinnvollerweise am Annentag (einem 26. Juli, dem traditionellen Almbesuchstag) vom salzburgischen Annaberg aus (versteht sich) erfolgen, etwa über die Loseggalm der Familie Kendlbacher (Langfeldgut), bestens betreut und wie auf der nahen Sulzkaralm mit weiblicherseits eigens hergestelltem Käse versorgt (gewiß sollte man in beiden Fällen kleine Mitbringsel mit dabei haben, ‚nicht mit leeren Händen’: heißt nach wie vor die Devise, und nicht nur mit Bargeld kommen, denn auch wenn sich das Almleben stark verändert hat, ist man doch immer noch über liebevolle, vielleicht sogar praktische Präsente entzückt, wer zur Zeit oben tätig ist und was sich hinaufzutragen schickt, könnte im Tal erfragt werden).“ (Tyrolia, 2018)

Bodo Hell, 1943 Salzburg, lebt in Wien und am Dachstein, Prosa, Radio, Theater, Fotos, Almwirtschaft (40 Sommer), Bücher zuletzt: Nothelfer Droschl Essay 2010, Nachsuche krill 2012, Omnibus Droschl 2013, MATRI MITRAM Engelsgespräche/Bildersturm mit Norbert Trummer, bibliothekderprovinz 2014, Landschaft mit Verstoßung Klangbuch mit Friederike Mayröcker und Martin Leitner, mandelbaum 2014, Stadtschrift (Fotos und Texte) bibliothekderprovinz 2015, kein Maulwurfshügel (topo-grafische Semmeringbilder, mit Norbert Trummer) bibliothekderprovinz 2016, Ritus und Rita Droschl Essay 2016, Kunstschrift (90 Positionen von Abramovic bis Zumthor) bibliothekderprovinz 2017, Parallelprosa mit Insel Werd mit Zsuzsanna Gahse, Edition Thanhäuser 2017, Wilder Dachstein (mit E.Wallnöfer und P. Kubelka) Pustetverlag April 2018.

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