Foto: Oskar Pastior in Lana, 1987
***
Ob er sich anschickte, das Feld der poetischen Ausdrucksweisen in Gedichtgedichten neu zu vermessen oder Wilhelm Müllers berühmtesten Liederzyklus als Leitfaden für eine Reise in die rumänische Kindheit nützte, ob er Villanellen, Vokalisen, Gimpelstifte, Palindrome oder Sestinen verfasste: Stets war Oskar Pastior, im rumänischen Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren und nach seiner Übersiedelung aus Rumänien jahrzehntelang in Berlin beheimatet, an der Erweiterung und Bereicherung literarischer Möglichkeiten interessiert. Mit den Mitstreiterinnen und Mitstreitern von „Oulipo“ verband ihn die Lust an der contrainte; in experimentellen Versuchsanordnungen ließ er flüchtige Verheißungen aufleuchten und auch innerhalb enger formaler Schemata blieb sein Schaffen von großer sprachschöpferischer Verve.
Seit seinen Anfängen Mitte der 60er Jahre hat Pastior einen weiten Weg zurückgelegt. Von der ungeliebten Kooperation mit einem „ganzen Staats- und Gesellschaftszusammenhang“ zu ideologisch korrekten Reimen gezwungen, schulte und schärfte er nach und nach seine eigenen ästhetischen Werkzeuge und ließ jeden Instrumentalisierungsversuch an sich abprallen. Der Rede von der „Würde des Worts“ zog er „das Würde des Worts“ vor, „die wandelbaren Möglichkeits- und Zukunftsformen der Sprache“. Besessen von den inneren Ordnungsbildungen und poetischen Eignungen bestehender und erfundener Idiome, war ihm keine Wortverdrehung zu gewagt und jede Verfahrenheit Teil eines neuen Repertoirs. Poetische Vielsprachigkeit pflegte er, wie schon sein in Czernowitz geborener Vorläufer Paul Celan, als eine Art Muttersprache. Als Übersetzer fand er immer neue Zugangsweisen zu kanonisierten Texten und blieb doch der Tradition verhaftet, mit der er seine ureigenen Kämpfe ausfocht. Auch wenn sein forschender Geist den ganzen Spielraum poetischer Gesten beanspruchte, galt sein Einsatz niemals bloß der Meisterschaft: In seinen sprachlogischen und grammatischen Volten lag eine Dringlichkeit und mit seiner Weigerung, die Beschränkungen vorgefertigter Sprechweisen anzuerkennen, machte er gesellschaftliche Zwangslagen transparent.
Pastior, dessen Verstrickungen mit dem rumänischen Geheimdienst erst posthum zum Gegenstand von Debatten wurden, war vertraut mit den Mechanismen von Zensur und Selbstzensur. Schon als ganz junger Mann sei ihm die „Sprache zerbrochen im Lager“, erzählte er Herta Müller, und der Ausgleich dieses Verlusts war der Auftrag, den er in unzähligen Anläufen „vom Sichersten ins Tausendste“ manövrierte. Was immer er sich ausdachte, ein Höricht, einen Krimgotischen Fächer, ein rückläufiges Heimataggregat, behauptete unverrückbar seinen Platz in einer dadurch veränderten poetischen Welt. So lebte er, der sich hineingewagt hatte wie nur wenige in das „geisterreich einer naturwissenschaft zwischen ziffer und zahlwort, buchstabe und position, sprache und alphabet“, gleichsam im Transitraum der Worte, zuweilen so sehr in seine Vorhaben vertieft, dass kein Weg mehr an der Methode vorbeiführte, dafür aber die Methode immer weitere Möglichkeiten freisetzte.
„Dass ein Debüt, das wirklich eines wäre, dem Involvierten nie mehr oder immer nur bevorsteht (so wie die Geburt, so wie der Tod)“, hat Pastior im Begleitwort zum ersten Band der 2003 begonnenen Hanser-Werkausgabe formuliert. Und er beschreibt darin auch, wie er sein eigenes Debut im Zuge der politischen Wirren, die dem Umzug nach Deutschland vorausgingen, regelrecht verpasst hat, was ihm jedoch die Chance gab, lebenslang am Status des Debutanten festzuhalten. „Also wart ich wohl zur Zeit noch immer auf mein zweites, grundsätzlich nächstes Debut; stecke demnach immer noch im ersten fest wie mittendrin.“ Gibt es eine bessere Bedingung, um mit jedem Buch über sich hinauszuwachsen?
Im Oktober dieses Jahres hätte sich Pastiors Geburtstag zum 90. Mal gejährt. Das Attico nimmt dieses Datum zum Anlass, um „die seinsfrage“ noch einmal zu stellen, „in welchem text ich neunzehnhundertsiebenundzwanzig bis tausendneunhundertsiebenundzwanzig geboren bin“ und Oskar Pastiors Werk mit poetologischen Überlegungen, essayistischen Annäherungen und persönlichen Erinnerungen zu ehren. Und, nicht zu vergessen, ein Fest zu feiern: mit Freundinnen und Freunden, Expertinnen und Experten, DebütantInnen und Weggefährten sowie einem eigens für diesen Anlass verfertigten Advent-Kranz von Gedichten.
Mit freundlichem Dank an das Rumänische Kulturinstitut Berlin und den Hanser Verlag
***
Programm:
18. 12. 2017, 19.30 Uhr
Begrüßung, Einführung: Theresia Prammer
„Alles steht ja drin, das ist ihr springender Punkt“
Ernest Wichner und Ulf Stolterfoht erinnern an Oskar Pastior und stellen die laufende Werkausgabe (Hanser) vor
Pause
Michael Lentz: „Mein Pastior“
Gedichte & Kommentare
19. 12. 2017, 19.30 Uhr
Begrüßung: Theresia Prammer
„auf eine exemplarische Weise kein bissel exemplarisch zu sein“
Hommagen und Interventionen
Moderation: Paul Jandl
mit Oswald Egger, Dagmara Kraus und Sissi Tax
sowie einem „Gruß“ von Marcel Beyer
Pause
„Alles in der Zeit ist etwas anderes“.
Paul Jandl spricht mit teilnehmenden Autorinnen und Autoren über Oskar Pastior, sein Werk, seine Poetik und die Fragen, die ihn bewegten
Lieblingsgedichte und Weihnachtsumtrunk
***
ich bin ganz von ansichten
völlig von ansichten
voll bis zu den
ansichten
und mir das ferse ins gesicht
weil ich bin ganz von denen
vollen geistern ins gesicht
das voll ist bis zu allen
guten socken und sonstigen
garlics
weil ich mich hängen glosse
bis zu den zungen
voll von denen ansichten
und bis aufs blut
von geistern voll und sinnen
mich voll in die augen verlasse
weil ich bin völlig hin
von jenen gewissen
fassungen
gerissen
Aus: Lesungen mit Tinnitus (Hanser, 1986)
***
Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
Oswald Egger, geboren 1963 in Lana, Südtirol. Professor für „Sprache und Gestalt“ an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel, lebt auf der Raketenstation Hombroich in Neuss. Zuletzt erschienen „Die ganze Zeit“ (2010), „Euer Lenz“ (2013), Harlekinsmäntel und andere Bewandtnisse (2017) und „Val di Non“ (2017). Das in der Hombroicher Edition „Das böhmische Dorf“ von Oswald Egger herausgegebene Buch „Gewichtete Gedichte“ (2006) war die letzte Publikation Oskar Pastiors zu Lebzeiten.
Paul Jandl, geboren 1962 in Wien, studierte Germanistik und Philosophie in Wien. Kulturjournalist und Literaturkritiker bei der Neuen Zürcher Zeitung.
Dagmara Kraus, geboren 1981 in Wrocław, Polen. Veröffentlichungen von Gedichten und Übersetzungen. 2012 veröffentlichte sie bei kookbooks ihren Debütband „kummerang“. Im selben Jahr erschienen unter dem Titel „Wir Seesterne“ ihre Übersetzungen von Gedichten Miron Białoszewskis. 2015 erschien bei kookbooks der Band „das vogelmot schlich mit geknickter schnute“, 2016 kam bei „roughbooks“ der Band „wehbuch (undichte prosagen)“ heraus. Dagmara Kraus lebt in Berlin.
Michael Lentz, Autor und Musiker, lebt in Berlin.
Ulf Stolterfoht, geboren 1963 in Stuttgart, lebt in Berlin. Lyriker und Übersetzer. Zuletzt: „was branko sagt“, Ostheim/Rhön: Peter Engstler Verlag 2014 und „neu-jerusalem“, Berlin: kookbooks 2015. Stolterfoht ist Knappe der Lyrikknappschaft Schöneberg und betreibt den kleinen Verlag BRUETERICH PRESS.
Sissi Tax, geboren 1954 in der Steiermark, lebt seit 1982 in Berlin. Sie hat ein Buch über Marieluise Fleiszer geschrieben, Getrude Stein – gemeinsam mit Oskar Pastior – und David Markson übersetzt. Die Titel ihrer im Droschl Verlag erscheinenden Prosatrilogie lauten: ‘manchmal immer’, ‘je nachdem’, ‘und so fort’, der Trilogie vierter Band:’ vollkommenes unvollkommenes’. Der Titel des fünften Bandes wird lauten: ‘stumm filme schauen.’ 2017 erschien das Buch: ‘the looks, not the books’ im Institut für Buchkunst, Leipzig. Sissi Tax ist Mitglied des Köflacher Vereins zur Rettung des Umlauts, der Forschungs-Gruppe Winchester’73 und des FC Movie Berlin.
Ernest Wichner, geboren 1952 in Guttenbrunn (Zǎbrani), Banat, Rumänien. 1975 ausgewandert in die Bundesrepublik Deutschland, lebt seit 1976 in Berlin. In Berlin Studium der Germanistik und Politologie, seit 1987 tätig im Literaturhaus Berlin, seit 2003 dessen Leiter. Zuletzt veröffentlichte er die Gedichtbände: Neuschnee und Ovomaltine, Berlin, 2013; „bin ganz wie aufgesperrt“, Heidelberg 2013; Rückseite der Gesten, Springe 2003. Letzte Übersetzungen: Mircea Cărtărescu: „Die schönen Fremden“, Wien 2016; Varujan Vosganian: „Das Spiel der 100 Blätter“, Wien 2016; Daniel Bǎnulescu: „Der Teufel jagt nach deinem Herzen“, Ludwigsburg 2017. Ernest Wichner ist Herausgeber der im Carl Hanser Verlag erscheinenden Werkausgabe Oskar Pastiors.
4. Stock – Fahrstuhl auf Anfrage
Der Eintritt ist frei!
********
„Und dann hat er mir vehement widersprochen und erzählt, wie er sich im Lager aus grünen Wollhandschuhen, aufgetrennter Wolle, ein Tannenbäumchen gemacht hat und dass also die Tanne nicht das ist, was ich sage, und dass man an die Tanne glauben kann, ohne an Weihnachten zu glauben, und dass die Tanne, also so in dieser Zeit im Lager, dass dieser Weihnachtsbaum der letzte Halt war.“ Herta Müller im Gespräch mit Jürgen König